Technische Alleinstellungsmerkmale – die Einhörner des Vergaberechts

Der § 14 Abs. 4 Nr. 2 b VgV erlaubt Direktvergaben, wenn ein technisches Alleinstellungsmerkmal vorliegt, d.h., wenn die Leistung nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht werden kann. In der Praxis werden so insbesondere im IT-Bereich zahlreiche Verfahren unrechtmäßig durchgeführt. Häufig ist keine böse Absicht oder gar Korruption im Spiel, sondern es liegt viel mehr an der Marktstärke einzelner Anbieter sowie am fehlenden technischen Verständnis oder auch der personellen Ressourcen der öffentlichen Auftraggeber.

Es ist davon auszugehen, dass der Druck auf die öffentlichen Auftraggeber auch in den nächsten Jahren weiter zunehmen wird. Am 01.08.2024 tritt die KI-Verordnung in Kraft und es ist absehbar, dass allein dadurch das Thema „KI“ wieder mehr im Vordergrund zukünftiger Vergaben liegen wird.

Dieser Artikel erläutert zunächst die Voraussetzungen von Alleinstellungsmerkmalen und stellt danach die aktuelle Rechtsprechung anhand des SAP-Urteils vom OLG Hamburg dar.

1. Voraussetzungen

Die wesentlichen Voraussetzungen sind das objektive Fehlen von Wettbewerb, keine selbstgeschaffene künstliche Einschränkung sowie das Vorliegen von sachlichen Gründen. Die Beweislast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liegt immer beim Auftraggeber! Dieser muss das Fehlen von Wettbewerb und die Existenz des Alleinstellungsmerkmals beweisen.

Natürlich hat der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich ein weites Leistungsbestimmungsrecht, aber dieses darf er nicht zur Umgehung des Vergaberechts nutzen. Zudem hat der Auftraggeber eine vertiefte Prüfpflicht und muss nach vernünftigen Alternativen suchen und diese in seine Entscheidung einbeziehen. Wirtschaftliche und zeitliche Gründe können grundsätzlich kein Alleinstellungsmerkmal begründen. Hier ist jedoch denkbar, dass in Einzelfällen die Rechtsprechung Ausnahmen bilden könnte.

Da dies bisher noch nicht ausreichend geschehen ist, ist die Prüfung des Sachverhaltes durch einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin unabdingbar. Dieses Vorgehen empfiehlt sich bei der Problematik stets, um auch die Verantwortung von dem eigenen Team (Fachbereich/Vergabestelle) auf ein überhaupt tragbares Maß zu reduzieren. Zumal diese Prüfung eine Rechtsdienstleistung im Sinne des Rechtsdienstleistungsgesetzes darstellt.

Somit ergibt sich folgendes Prüfungsschema:

  • Objektives Fehlen von Wettbewerb: Eine gründliche Markterkundung muss ergeben, dass kein anderes Unternehmen die Leistung erbringen kann.
  • Keine künstliche Einschränkung: Das Alleinstellungsmerkmal darf nicht durch eine willkürliche Leistungsbeschreibung geschaffen werden.
  • Sachliche Gründe: Es müssen objektive und auftragsbezogene Gründe für die Leistungsbestimmung vorliegen (z.B. Interoperabilität, Systemsicherheit).
  • Beweislast: Der Auftraggeber muss das Fehlen von Wettbewerb und die Existenz des Alleinstellungsmerkmals beweisen.

Wie immer gilt der Grundsatz „wer schreibt, der bleibt!“ (vgl. § 8 VgV). Das Vorliegen eines Alleinstellungsmerkmales sollte stets sehr ausführlich dokumentiert werden.

2. Aktuelle Rechtsprechung

Es gibt leider sehr wenig Rechtsprechung zu der Vergabe beziehungsweise der Begründung von Alleinstellungsmerkmalen. Das verwundert nicht, da aufgrund des fehlenden Wettbewerbes kaum Unternehmen von den Vergaben überhaupt etwas mitbekommen. Es passiert heimlich, da auch die Bekanntmachungen sich leider meistens absolut kryptisch lesen.

Ein interessantes aktuelles Urteil hat das OLG Hamburg 2023 gefällt. Es ist aufgrund der Marktstärke des Bieters und seiner starken Präsenz auf dem deutschen IT-Markt besonders relevant und weitreichend: Das OLG Hamburg verneinte ein Alleinstellungsmerkmal bei SAP, da andere Unternehmen ähnliche Leistungen anbieten konnten.

Leitsätze des OLG Hamburg, Beschluss vom 06.04.2023 – 1 Verg 1/23:

1. Eine Vergabe von Aufträgen im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb darf erfolgen, wenn der Auftrag zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden kann, dies darauf beruht, dass aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist, es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist.

2. Für die Beantwortung der Frage, ob ein Anbieter zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten zur Leistung in der Lage ist, kommt es nicht darauf an, ob die Leistung sofort, also gleichsam auf der Stelle erbracht werden kann. Das zur aktuellen Erfüllung eines Auftrags erforderliche Material herbeischaffen kann auch ein Unternehmen, das sich das Material innerhalb angemessen kurzer Zeit besorgen kann.

3. Eine Vergabe von Aufträgen im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb setzt ein vorheriges Markterkundungsverfahren voraus. Anderenfalls kann der öffentliche Auftraggeber das Nichtvorhandensein vernünftiger Alternativen oder Ersatzlösungen nicht darlegen und beweisen.

3. Risiken bei Nichtvorliegen von Alleinstellungsmerkmalen

Wenn ein öffentlicher Auftraggeber unrechtmäßig ein Alleinstellungsmerkmal angenommen hat, dann kann dies sehr viele unangenehme formelle, aber auch personelle Konsequenzen (Korruptionsprüfung!) haben.

Formell kann eine rechtswidrige Direktvergabe zur Aufhebung des Vergabeverfahrens führen. Zudem können die betroffenen Unternehmen Schadensersatzansprüche (mehrere sind denkbar!) gelten machen.

Der Reputationsverlust ist zudem immens. Eine unrechtmäßige Direktvergabe kann das Vertrauen in den öffentlichen Auftraggeber langfristig untergraben. Viele Bieter bewerben sich bei bestimmten öffentlichen Auftraggebern bereits aus Frust nicht mehr!

4. Fazit

Die Behauptung eines Alleinstellungsmerkmals muss sorgfältig geprüft werden. Der Auftraggeber muss nachweisen, dass es keine realistische Alternative gibt und dass die Leistungsbeschreibung nicht künstlich eingeschränkt wurde. Zeitliche oder wirtschaftliche Gründe reichen für eine Direktvergabe in der Regel nicht aus. Bei der Behauptung eines Alleinstellungsmerkmals sollte stets eine rechtliche Beratung eingeholt werden.

Jutta Pertenais, die Autorin des Blogs, ist Rechtsanwältin und seit mehreren Jahren spezialisiert auf Themen rund um Vergabeverfahren und IT-Recht.

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