Praxisbericht Ausschreibung von Kreativleistungen – Das Vergabeverfahren aus Sicht des Bieters

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Nach welchen Prinzipien und Prozedere öffentlich-rechtliche Institutionen Aufträge erteilen, ist für viele Kreativschaffende eine Blackbox. Kein Ausschreibungsverfahren ist gleich – aber ein paar Abläufe wiederholen sich dennoch. Wir geben in diesem Blogbeitrag einen Einblick und erklären, wie Agenturen und Freelancer ihre Chancen erhöhen. Mittels Praxiserfahrungen einer Kreativagentur soll verdeutlicht werden, wie sowohl Auftraggeber als auch Bieter zu einer erfolgreichen Auftragsvergabe beitragen können.

Verständnis als Schlüssel für ein erfolgreiches Vergabeverfahren

Einer der größten Gründe für Konfliktpotenziale liegt darin, dass Kreativschaffende und öffentliche Auftraggeber unterschiedlich arbeiten. Wohingegen öffentliche Auftraggeber daran interessiert sind, ihre Aufgaben nach „Recht und Gesetz“ auszurichten, wollen Agenturen und Freelancer ihre Ideen kreativ zum Ausdruck bringen. Hier ist es wichtig, dass sich beide Seiten mit der Arbeitsweise der anderen Seite vertraut machen. Dabei muss aber stets im Blick behalten werden, dass der Gesetzgeber im Vergaberecht das Auftragsbestimmungsrecht eindeutig dem öffentlichen Auftraggeber zugeordnet hat. Dem müssen sich Kreative stets bewusst sein! Öffentliche Auftraggeber erhalten dadurch die Befugnis, neben dem Leistungsgegenstand auch die Eignungs- und Zuschlagskriterien sowie die Methode zur Beurteilung der Leistung grundsätzlich frei zu wählen.

Dennoch lässt sich als übergeordneter Lösungsansatz zur Konfliktvermeidung festhalten: Je besser man die Mechanismen hinter den Kulissen kennt, desto mehr Verständnis kann auf beiden Seiten füreinander entstehen. Was wiederum zur Vermeidung von Konflikten beiträgt sowie die Möglichkeit eröffnet konstruktive Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Das sorgt nicht nur für weniger Stress im Vergabeprozess, sondern auch für eine angenehmere Zusammenarbeit in der späteren Projektausführung. Dieses Prinzip sollte immer von beiden Seiten im Zusammenhang mit Vergabeverfahren für Kreativleistungen berücksichtigt werden. Bei Unklarheiten oder Verständnisproblemen hinsichtlich der Ausschreibungsunterlagen sollten Kreativschaffende immer Bieterfragen über den vorgegebenen Kommunikationsweg stellen. Dem öffentlichen Auftraggeber obliegt die Pflicht zur Beantwortung.

Allgemeiner Ablauf eines Vergabeverfahren

Das Vergabeverfahren für Kreativleistungen ist ein klar strukturierter Prozess, der dazu dient, Aufträge fair und transparent zu vergeben (vgl. § 97 GWB). Der Ablauf kann je nach Art und Umfang des Projekts variieren, doch in der Regel folgt er einem standardisierten Muster. Dieses wird nicht selten von Agenturen und Freelancern als ungeeignet empfunden.

„Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Prozesse […] unpersönlich und […] intransparent sind, was u.a. an wenig eindeutigen Ausschreibungsunterlagen liegt. Die Fragen sind teilweise sehr verklausuliert, was den Zugang zur Aufgabe erheblich erschwert.“,

Lara Timm, Teamleitung Beratung bei Wynken Blynken & Nod GmbH & Co KG

Beginnend besteht der erste Schritt für den öffentlichen Auftraggeber darin, den Bedarf an Kreativleistungen zu ermitteln. Der Auftraggeber definiert die Projektziele, Anforderungen und den Umfang der Leistungen. Bei Kreativleistungen wird bei der Anforderungsdefinition häufig auf eine sog. funktionale Leistungsbeschreibung zurückgegriffen. Dabei wird kein detaillierter Leistungskatalog vorgegeben, sondern die zu erbringende Leistung wird nach dem zu erreichenden Ziel definiert (vgl. § 31 VgV, § 23 UVgO). In der Regel wird hierdurch auch die Voraussetzung des § 14 Abs. 3 Nr. 4 VgV erfüllt sein, weswegen ein Großteil der Kreativleistungen im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb (bei einem geschätzten Auftragswert unterhalb des EU-Schwellenwertes: Verhandlungsvergabe mit Teilnahmewettbewerb gem. § 8 Abs. 1 UVgO) vergeben wird.

Interessierte Kreativagenturen oder Freelancer geben ihre Teilnahmebereitschaft bekannt und reichen ihre Bewerbungen ein (Phase 1: Teilnahmewettbewerb). Bei kleinen Projekten kann dies ein einfacher Prozess sein, während bei größeren und komplexeren Aufträgen oft eine Vorauswahl stattfindet. In diesem Schritt werden die Bewerber anhand bestimmter Kriterien wie Erfahrung, Referenzen und Leistungsfähigkeit beurteilt. Nur die Bewerber, die ihre Eignung nachweisen können, werden zur Angebotsabgabe zugelassen. Die zugelassenen Bewerber heißen nun Bieter und erstellen auf Basis der Ausschreibungsunterlagen ihre Angebote und Konzepte, in denen sie darlegen, wie sie die Anforderungen des Projekts erfüllen und umsetzen werden. Im Falle der Durchführung eines Verhandlungsverfahrens besteht die Möglichkeit nach der Angebotsöffnung, -prüfung und -wertung der Erstangebote mit den Kreativschaffenden in einen „Austausch“ (=Verhandlungen) zu gehen. Die Verhandlungen sind für Agenturen und Freelancer ein perfektes Mittel, um Details der Zusammenarbeit sowie Vertragsbedingungen zu klären und sollten daher aktiv durch Kreativschaffende mitgestaltet werden. Durch die Verhandlungen erhält die Agentur bzw. Freelancer die Gelegenheit, den Eindruck des „unpersönlichen Charakters“ eines Vergabeverfahrens aufzulösen.  

Schließlich wird der Zuschlag an denjenigen Bieter erteilt, dessen Angebot das wirtschaftlichste (bestes Preis-Leistungs-Verhältnis) in Bezug auf die Zuschlagskriterien ist.

Es ist wichtig zu betonen, dass je höher der Auftragswert ist, desto formeller wird in der Regel das Vergabeverfahren. Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben erfordern größere Projekte oft eine umfassendere Prüfung der Bewerber/Bieter und eine detailliertere Bewertung der Angebote, um sicherzustellen, dass die besten und qualifiziertesten Kreativleister ausgewählt werden.

„Wir bevorzugen ein mehrstufiges Verfahren, da sich damit viele Aufwände vermeiden lassen, wenn man schon in der ersten Runde das Feedback erhält, dass die Agentur nicht den Erwartungen und/oder den erforderlichen Kompetenzen entspricht.“,

Lara Timm, Teamleitung Beratung bei Wynken Blynken & Nod GmbH & Co KG

Wann sich eine Teilnahme lohnt

Die Teilnahme an Ausschreibungen von Kreativleistungen lohnt sich insbesondere dann, wenn der potenzielle Auftrag einen bedeutenden Mehrwert für das Unternehmen oder die Kreativagentur bietet. Dabei ist es essenziell, die Balance zwischen Aufwand und Nutzen zu beachten. Wenn der Auftrag eine hohe strategische Bedeutung hat, langfristige Geschäftsbeziehungen in Aussicht stellt oder den Zugang zu neuen Marktsegmenten ermöglicht, ist eine Teilnahme am Vergabeverfahren äußerst lohnend. Des Weiteren bietet die Beteiligung an Ausschreibungen die Chance, das eigene Portfolio zu erweitern, Referenzprojekte zu gewinnen und die Expertise in bestimmten Branchen oder Themengebieten zu stärken. Allerdings sollten Kreativschaffende auch den Aufwand für die Erstellung der Angebote und Konzepte berücksichtigen und Projekte auswählen, die mit ihren Kernkompetenzen und Ressourcen im Einklang stehen, um eine effektive Teilnahme zu gewährleisten.

„Wir prüfen […], wie spannend die Aufgabenbeschreibung klingt. Zudem versuchen wir anhand der Aufgabenbeschreibung […] zu eruieren, wie dringend eine neue Agentur gesucht wird.“,

Lara Timm, Teamleitung Beratung bei Wynken Blynken & Nod GmbH & Co KG

Auftragsvergabe: Wie Agenturen und Freelancer ihre Chancen erhöhen und Auftraggeber zur Steigerung eines Wettbewerbs beitragen können

Tipp für Kreativschaffende: Lesen Sie die Ausschreibungsunterlagen mehrmals durch!

Beim ersten Durchlesen erhalten Sie einen groben Überblick über die Struktur der Unterlagen und den Ablauf des Vergabeverfahrens. Bei der zweiten Durchsicht sollten Sie sich auf die Eignungskriterien (=unternehmensbezogene Kriterien, wie geforderte Selbstauskünfte, Nachweise, andere Dokumente) und anschließend auf die Bewertungs- oder Zuschlagskriterien (=leistungsbezogene Kriterien, wie Anforderungen an die Ausführung, das Ergebnis oder auch an das ausführende Personal) konzentrieren.

Im Bereich der Ausschreibung von Kreativleistungen geht es häufig nicht darum, konkrete Anforderungen/Kriterien zu erfüllen (wie dies bspw. bei der Lieferung von Produkten der Fall ist). Öffentliche Auftraggeber sind per Gesetz (vgl. § 58 VgV, § 43 UVgO) angehalten, den Zuschlag auf das beste Preis-Leistungs-Verhältnis (wirtschaftlichste Angebot) zu erteilen. Welcher Bieter die „beste Leistung“ abliefert, ist bei Kreativleistungen nur schwer bis gar nicht im Rahmen des Vergabeverfahrens feststellbar. Der Gesetzgeber verlangt vom öffentlichen Auftraggeber, dass er sich die Leistung durch den Auftragnehmer in irgendeiner Form im Rahmen des Angebotes darstellen lässt. Aus diesem Grund fordern manche Auftraggeber vollumfängliche Konzepte, Strategien oder die konkrete Ausarbeitung von Kampagnenelementen (z.B. Design von Flyern). Die Mehrheit der Agenturen und Freelancer sehen sich an dieser Stelle mit einer nicht unerheblichen (zumeist unbezahlten) Vorleistung konfrontiert, die sowohl kosten- als auch personalintensiv ist.

Tipp für Auftraggeber: Treffen Sie eine „Prognoseentscheidung“!

Als Kompromisslösung bietet sich eine „Prognoseentscheidung“ durch den öffentlichen Auftraggeber an. Der Auftraggeber kann z.B. nur Grobkonzepte oder einzelne Arbeitsproben (aus ehemaligen Projekten des Bieters oder basierend auf beispielhafte Aufgabenstellung des AG) verlangen, die mit der ausgeschriebenen Aufgabenstellung vergleichbar sind. Anhand dessen kann der öffentliche Auftraggeber die Qualität der voraussichtlichen Leistungsausführung bewerten. Dabei hat der öffentliche Auftraggeber darauf zu achten, dass der Bewertungshorizont so eindeutig wie möglich beschrieben wird, damit möglichst wenig bis gar keine subjektiven Aspekte in die Bewertung einfließen. Alternativ können auch Bieterpräsentationen zur Darstellung der Herangehensweise an die Projektaufgabe und Lösungsfindung stattfinden und bewertet werden. Auch hier ist der öffentliche Auftraggeber angehalten so viel Objektivität wie möglich zu schaffen, indem er konkrete Vorgaben zum erwarteten Inhalt macht. Aber beide Seiten sollten sich stets bewusst machen, dass auch wenn es sich bei Konzepten und Präsentationen um objektive Wertungskriterien handelt, die Subjektivität der Bewertung in der Natur der Sache liegt und sich nie 100-prozentig ausschließen lässt.

Sollte es doch einmal erforderlich sein eine konkrete Werbekampagne, Social-Media-Strategie oder Ähnliches im Rahmen der Angebotserstellung vom Bieter zu fordern, empfiehlt es sich, dass der öffentliche Auftraggeber dies auf ein Minimum reduziert. Im Ausnahmefall kann der öffentliche Auftraggeber auch eine Vergütung für die Angebotserstellung in Betracht ziehen, um bieterfreundlich zu agieren.

„Tendenziell ist eher die Erstellung eines Konzeptes wünschenswert, allerdings ist hier erforderlich, dass die Kund:innen ein gewisses Maß an Abstraktionsvermögen mitbringen, um die Konzeption ohne konkrete Kampagnenelemente beurteilen zu können. Für die Erstellung einzelner Kampagnenelemente geht ja auch eine Konzeption voraus, weswegen die Erstellung der Kampagnenelemente einfach zusätzlicher Aufwand ist.“

„Aus unserer Sicht wäre es nur fair und angemessen, die Aufwände der Agentur monetär zu honorieren – diese ist aber stark abhängig von der Aufgabenstellung […].“,

Lara Timm, Teamleitung Beratung bei Wynken Blynken & Nod GmbH & Co KG

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Ausschreibung von Kreativleistungen die Beachtung der Besonderheiten der Gegenseite fordert: Der öffentliche Auftraggeber sollte „kreativer“ in der Ausgestaltung der Ausschreibungsbedingungen werden. Um marktfreundlich zu agieren, kann der öffentliche Auftraggeber beispielsweise im Vorfeld eine sog. Markterkundung vornehmen, um die Besonderheiten bei der Beschaffung seiner Kreativleistung zu ermitteln, sowie das Vergabeverfahren möglichst bieterfreundlich ausgestalten zu können.

Die Kreativschaffenden sollten versuchen, bei der Erstellung des Angebots so exakt wie möglich nach den Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers zu arbeiten, um „kreative“ Abweichungen – die zum Ausschluss aus dem Vergabeverfahren führen können – zu vermeiden.

Wir bedanken uns bei der Kreativagentur Wynken Blynken & Nod GmbH & Co KG für den konstruktiven Erfahrungsaustausch im Vorfeld der Erstellung des Blogbeitrags.

Der Blogbeitrag wurde erstellt von Sebastian Schmidt (IT-Consultant, Experte für visuelle Kommunikation und Social-Media) sowie Anna Zoller (Vergabeberaterin).

Haben Sie weitere Fragen zum Thema Vergaberecht? Dann schreiben Sie uns gerne oder nehmen Sie an unserem Vergabe-Mittwoch teil.