VK Bund vom 28.5.2020 (VK 1-34/20): Auch eine Bieterfrage kann eine Rüge darstellen
Bitte beachten Sie, dass dieser Beitrag die Entscheidung stark verkürzt sowie vereinfacht wiedergibt.
Für die Frage, ob es sich um Rügen oder um Bieterfragen handelt, kommt es nicht darauf an, wie ein Bieter selbst sein Schreiben verstanden wissen will. Das Schreiben ist objektiv zu beurteilen. Eine ablehnende Antwort des Auftraggebers setzt die Frist des § 160 Abs. 3 Nr. 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) von 15 Kalendertagen in Gang. In einem nach Ablauf der Frist und damit verspätet eingeleiteten Nachprüfungsverfahren sind solche Rügen aus formalen Gründen ausgeschlossen.
Der Entscheidung der Vergabekammer des Bundes lag folgender Sachverhalt zu Grunde;
Die Auftraggeberin führte nach europaweitem Teilnahmewettbewerb ein Verhandlungsverfahren zur Vergabe von Leistungen zur planmäßigen Instandhaltung durch. In diesem Verfahren enthielt der von der Auftraggeberin ausgeschriebene Vertrag mehrere Regelungen, die erstmals in ihren Instandhaltungsverträgen Verwendung finden sollten.
Als Verfahrensgrundsatz stellte die Auftraggeberin in ihrer Angebotsaufforderung an die Bieter klar, dass die vertraglichen Regelungen des Vertrages nicht verhandelbar seien.
In ihren zahlreichen Bieterfragen zum ausgeschriebenen Vertrag formulierte die spätere Antragstellerin vor ihrer Angebotsabgabe u.a. zum Thema Wettbewerbsverzerrung.
Dennoch gab die spätere Antragstellerin fristgerecht ihr Angebot ab. Sie erhielt allerdings nicht den Zuschlag, da ihr Angebot nicht das wirtschaftlichste gewesen sei.
Die Antragstellerin rügte hierauf (nun auch anwaltlich vertreten) u.a. dass die Vertragsstrafen zu hoch sein und die Kalkulation unmöglich war.
Die Auftraggeberin half sämtlichen Rügen nicht ab, woraufhin die Antragstellerin bei der VK Bund die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens beantragte.
Die Vergabekammer des Bundes traf folgende Entscheidung;
Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig, denn die im Vergabeverfahren gestellten „Fragen“ der Antragstellerin sind Rügen im Sinne des §§ 160 Abs. 3 GWB. Bei Einreichung des Nachprüfungsantrags waren mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung der Antragsgegnerin, den Rügen nicht abhelfen zu wollen, vergangen (§ 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB).
Selbst wenn man der Auffassung der Antragstellerin folgt, dass ihre Fragen keine Rügen darstellten, ist ihr Nachprüfungsantrag deshalb unzulässig, weil ihre anwaltlichen Rügen am nicht rechtzeitig erfolgten (§ 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB). Alles was die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren geltend macht, hat sie bereits vor der Angebotsabgabe gerügt.
Die Antworten der Antragsgegnerin darauf sind Nichtabhilfemitteilungen (Rügezurückweisungen). Da die Antragstellerin in Reaktion hierauf nicht innerhalb von 15 Kalendertagen einen Nachprüfungsantrag eingereicht hat, ist ihr Antrag gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB unzulässig.
Für die Frage, ob es sich um Rügen oder um Bieterfragen handelt, kommt es nicht darauf an, wie die Antragstellerin selbst ihre Schreiben verstanden wissen wollte oder dass es früher nach dem Vortrag der Antragstellerin üblich gewesen sei, mit der Auftraggeberin offen und kooperativ über etwaige Probleme zu diskutieren.
Ob ein konkretes Bieterverhalten eine Rüge im Sinne des § 160 Abs. 3 GWB darstellt, ist von den Nachprüfungsinstanzen objektiv zu beurteilen und steht nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten.
Anderenfalls könnte ein Bieter mit dem Argument, bisher habe er nur Fragen gestellt, aber keine Rügen erhoben, mit einer „echten“ Rüge zuwarten, ob er den Zuschlag erhält oder nicht. Ein solches Taktieren mit einer Rüge ist gesetzgeberisch jedoch nicht gewollt.
Denn die Rüge soll dem Auftraggeber frühzeitig Gelegenheit geben, ein vergaberechtswidriges Verhalten zu erkennen und dieses gegebenenfalls zu beseitigen, um das Vergabeverfahren möglichst rasch und ohne ein zeit- und kostenaufwändiges Nachprüfungsverfahren zum Abschluss zu bringen.
Der erforderliche Inhalt einer ordnungsgemäßen Rüge ergibt sich aus deren bereits vorstehend angesprochenen Zweck. Mit einer Rüge bringt ein Bieter zum Ausdruck, dass er eine Vorgehensweise oder ein Verhalten des Auftraggebers beanstanden will.
Eine ordnungsgemäße Rüge setzt daher nicht nur voraus, dass die Tatsachen, auf die die Beanstandung gestützt wird, so konkret wie für die Nachvollziehbarkeit nötig benannt werden, sondern auch, dass aus der Rüge deutlich wird, dass es sich hierbei um einen Vergaberechtstoß handelt, dessen Abhilfe begehrt wird (1. VK Bund, Beschluss vom 20.12.2016, VK 1-122/16).
Unerheblich für das Vorliegen einer Rüge ist ebenfalls, dass die Beanstandungen der Antragstellerin hier regelmäßig mit einem Fragezeichen enden.
Bei den Antworten der Antragsgegnerin handelt es sich durchweg um Nichtabhilfemitteilungen im Sinne des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB. Der Wortlaut dieser Norm gibt keine besonderen Anforderungen an Form und Inhalt einer Nichtabhilfemitteilung vor.
Es kommt also darauf an, dass ein Auftraggeber auf die Rüge überhaupt reagiert und dass sich seiner Reaktion entnehmen lässt, dass er die Rüge nicht zum Anlass nimmt, den beanstandeten Sachverhalt einer Korrektur zur unterziehen. Dann ist einem Bieter unmissverständlich klar, dass er sein Angebot auf unveränderter Grundlage abzugeben hat, weil der Auftraggeber seinen Beanstandungen trotz ausdrücklicher Würdigung nicht nachgekommen ist.
Selbst wenn man dem Vortrag der Antragstellerin darin folgt, dass ihre Bieterfragen keine Rügen gewesen seien, wäre ihr Nachprüfungsantrag deswegen unzulässig, weil ihre Rügen gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB verspätet erfolgten.
Die Fragen der Antragstellerin vor Angebotsabgabe zeigen, dass die Antragstellerin die im Nachprüfungsverfahren geltend gemachten Aspekte sowohl in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht durchdrungen hat. Die Antragstellerin hätte daher die aufgeworfenen Themen gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB bis zum Ablauf der Angebotsfrist rügen müssen.
Praxishinweise
Wäre die Antragstellerin bereits vor Angebotsabgabe zu einer anwaltlichen Beratung gegangen, dann hätte Sie mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit gewonnen.
Um das Erheben einer Rüge und damit den Rechtsschutz nicht unangemessen zu erschweren, sind die Anforderungen an deren Inhalt und die Form dabei gering sowie können auch u.a. falsche Gesetzesnormen zitiert werden.
Es reicht für eine Rüge aus, dass der Bieter den beanstandeten Sachverhalt nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht durchdrungen hat, also aufgrund der „Parallelwertung in seiner Laiensphäre“ etwas nicht nur als für ihn nachteilig empfindet, sondern auch für rechtswidrig hält.
Für eine Nichtabhilfemitteilung reicht es aus, wenn ein Auftraggeber zu einzelnen Rügen konkret Stellung nimmt und keine Änderungen der Vergabeunterlagen in Aussicht stellt.
Jutta Pertenais, die Autorin des Blogs, ist Rechtsanwältin und seit mehreren Jahren spezialisiert auf Themen rund um Vergabeverfahren und IT-Recht. An dieser Stelle bloggt sie regelmäßig zu Problemstellungen aus ihrem Arbeitsalltag.