Sollten wir Sie erschreckt haben und Ihnen sind gerade mehrere vielleicht nicht ganz so korrekte Vergabeverfahren eingefallen, dann können Sie nun erstmal aufatmen. Oder zumindest grundsätzlich, wie Juristen so gerne sagen.
Ein Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften führt nicht automatisch zu der Nichtigkeit des Leistungsvertrages gemäß §135 GWB. Auch für den öffentlichen Auftraggeber gilt der wichtigste Grundsatz des öffentlichen ebenso wie des privaten Vertragsrechts: Das Prinzip der Vertragstreue, auch bekannt unter „pacta sunt servanda“ (lat.; dt.: Verträge sind einzuhalten).
Vor der Modernisierung des Vergaberechts war in § 13 S. 16 VgV a.F. bzw. in der bis zum 18.04.2016 geltenden Nachfolgeregelung § 101b GWB a.F. noch geregelt, dass ein unter Verstoß gegen die Informationspflichten abgeschlossener Vertrag nichtig sei. Jedoch auch nur, wenn ein in seinen Informationsrechten verletzter unterlegener Bieter den Verstoß gegen das Vergaberecht in einem Nachprüfungsverfahren geltend machte.
Seit April 2016 ist der § 135 GWB einschlägig. Demnach ist gemäß Abs. 1 ein öffentlicher Auftrag von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber gegen § 134 GWB (Informations- und Wartepflicht) verstoßen hat oder den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist, und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist.
Allerdings kann die Unwirksamkeit nur festgestellt werden, wenn sie im Nachprüfungsverfahren innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Information der betroffenen Bieter und Bewerber durch den öffentlichen Auftraggeber über den Abschluss des Vertrags, jedoch nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss geltend gemacht worden ist gemäß § 135 Abs. 2 S. 1 GWB.
Hat der Auftraggeber die Auftragsvergabe im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt gemacht, endet die Frist zur Geltendmachung der Unwirksamkeit 30 Kalendertage nach Veröffentlichung der Bekanntmachung der Auftragsvergabe im Amtsblatt der Europäischen Union gemäß § 135 Abs. 2 S. 2 GWB.
Für das Nachprüfungsverfahren sind zudem die §§ 160 ff. GWB zu beachten.
Die Unwirksamkeit tritt nicht ein gem. § 135 Abs. 3 Nr. 1-3 GWB, wenn
- der öffentliche Auftraggeber der Ansicht ist, dass die Auftragsvergabe ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union zulässig ist,
- der öffentliche Auftraggeber eine Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht hat, mit der er die Absicht bekundet, den Vertrag abzuschließen, und
- der Vertrag nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens zehn Kalendertagen, gerechnet ab dem Tag nach der Veröffentlichung dieser Bekanntmachung, abgeschlossen wurde.
Die Bekanntmachung muss den Namen und die Kontaktdaten des öffentlichen Auftraggebers, die Beschreibung des Vertragsgegenstands, die Begründung der Entscheidung des Auftraggebers, den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union zu vergeben, und den Namen und die Kontaktdaten des Unternehmens, das den Zuschlag erhalten soll, umfassen gemäß § 135 Abs. 3 letzter Absatz GWB.
Europaweit gab es in den letzten fünf Jahren mehr als 41.000 freiwillige Ex-ante Transparenzbekanntmachungen gemäß § 135 Abs. 3 S.1 GWB. In Deutschland waren es über 1.000. Hauptgrund dafür war, dass ein Auftrag aus dringenden Gründen vergeben werden musste. Es bleibt spannend, wie sich die COVID 19 Pandemie auf diese Möglichkeit der schnellen Rechtsicherheitserlangung auswirken wird.
Praxistipp: Im Unterschwellenbereich existieren weder Nachprüfungsverfahren noch eine entsprechende Unwirksamkeitsfolge für einen rechtswidrig erteilten Zuschlag, da der 4. Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) keine Anwendung findet. Mangels besonderen Verfahrensrechts besteht jedoch die Möglichkeit im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzes die Zuschlagserteilung durch einstweilige Verfügung zu verhindern.
Achtung: Eine Preisprüfung kann jedoch noch möglich sein.