Bestimmtheit von Zuschlagskriterien

Die VK Bund (Beschl. v. 23.08.2022 – VK2-66/22) hat entschieden, welche Ausgestaltung der Zuschlagskriterien das Gebot der Bestimmtheit gem. § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB erfüllen bzw. verfehlen und geht in diesem Zusammenhang auch auf den Einsatz von Prüfungskommissionen zur Bewertung von Angeboten ein.

Lassen sich aus der Entscheidung allgemeine Handlungsempfehlungen ableiten?

Gebot der Bestimmtheit gem. § 127 Abs. 4 GWB

Leistungsbezogene Zuschlagskriterien müssen stets hinreichend bestimmt sein (§ 127 Abs. 4 GWB). Eine Grenze ist dann erreicht, wenn die aufgestellten Bewertungsmaßstäbe „so unbestimmt sind, dass die Bieter nicht mehr angemessen über die Kriterien und Modalitäten informiert werden, auf deren Grundlage das wirtschaftlich günstigste Angebot ermittelt wird, und sie infolgedessen auch vor einer willkürlichen und/oder diskriminierenden Angebotswertung nicht mehr effektiv geschützt sind“.

Sachverhalt

In einem EU-weiten offenen Verfahren vergab ein öffentlicher Auftraggeber einen Auftrag über die Lieferung von Atemschutzmasken. Ein Bieter wandte sich an die Vergabekammer mit der Begründung, dass einzelne Zuschlagskriterien („Tragekomfort und Passform“, „Kombination mit Schutz- und Korrektionsbrillen“, „Handhabungshinweise“) nicht hinreichend bestimmt seien. Nach Ansicht des Bieters war den Vergabeunterlagen nicht zu entnehmen, wie viele Punkte pro Zuschlagskriterium erreicht werden können und auf welche Weise die erreichte Punktzahl in die Gewichtung umgerechnet wird.

Zudem führten die Vergabeunterlagen unter der Überschrift „Wertungsschema“ aus, dass die Zuschlagskriterien im Rahmen der Angebotsauswertung von einer Prüfungskommission (Fachkräften für Arbeitssicherheit) bewertet werden. Die Bewertung durch die Prüfungskommission erfolgt dabei im Vergleich zu den Produkten der anderen Bieter.

Entscheidung

Nach Ansicht der VK Bund war hinsichtlich der genannten Zuschlagskriterien für die Bieter nicht klar, was von ihnen erwartet wird.

Bei den Zuschlagskriterien fehlten die klar definierten Anforderungen (sog. Bewertungshorizont), wie beispielsweise das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines bestimmten Zertifikates. Zudem überschnitten sich wertungsrelevante Anforderungen mit geforderten leistungsbezogenen Mindestanforderungen, so dass keine eindeutige Abgrenzung möglich war. Erschwerend kam hinzu, dass der endgültige Maßstab erst aus dem Vergleich der Angebote entstanden ist und dadurch der Bewertungshorizont für den Bieter noch unklarer war. In Bezug auf die Arbeitsweise der Prüfungskommission verweist die VK auf den Spielraum für die Gestaltung der Zuschlagskriterien und Bewertungsmethode.

Zudem erklärte die VK, dass öffentliche Auftraggeber vorab keine Details zur Prüfungskommission und deren Arbeitsweise bekanntgeben müssen. Der öffentliche Auftraggeber führte in den Vergabeunterlagen aus, dass die Bewertung von sieben Fachkräften für Arbeitssicherheit vorgenommen wird. Damit hat der öffentliche Auftraggeber nach Ansicht der VK Bund ausreichend dargelegt, dass die Prüfungskommission fachlich kompetent ist.

Praxishinweise

Die Entscheidung bestätigt den großen Spielraum, den öffentliche Auftraggeber bei der Gestaltung der Zuschlagskriterien in Vergabeverfahren haben. Der öffentliche Auftraggeber hat das Bestimmungsrecht und legt fest, welche zwingenden Anforderungen die geforderte Leistung aufweisen muss und mittels welchen Bewertungsverfahrens er das wirtschaftlichste Angebot gem. § 127 Abs. 1 Satz 1 GWB, § 58 Abs. 1 VgV feststellen will.

Entsprechend können grundsätzlich auch Anforderungen an die Leistung, die nicht messbar, sondern lediglich beschreibbar sind, zum Gegenstand von Zuschlagskriterien gemacht werden. Dies wird bereits durch die Vorgaben des Gesetzgebers deutlich. So ist gemäß § 58 Abs. 2 Nr. 1 VgV die Bewertung der „Ästhetik“ als zulässiges Zuschlagskriteriums ausdrücklich genannt.

Eine hinreichende Bestimmtheit liegt zum Beispiel vor, wenn es sich um ein „Ja-oder-Nein-Kriterium“ handelte. In diesem Fall impliziert das Vorliegen oder Nichtvorliegen von klar definierten Voraussetzungen die hinreichende Bestimmtheit. Je „weniger messbar“ die Anforderung ist, um so anspruchsvoller muss die Gestaltung der Zuschlagskriterien und Bewertungsmethode sein.

Ein zulässiges und in vielen Fällen sinnvolles Instrument ist der Einsatz einer Prüfungskommission, die die Bewertung der Angebotsinhalte stellvertretend für den öffentlichen Auftraggeber vornimmt. Die Prüfungskommission hat dabei die vergaberechtlichen Grundsätze zu beachten und das Vorgehen sowie die Feststellungen zu dokumentieren. Erfolgt dies vollumfänglich, ist der Einsatz einer Prüfungskommission zur Bewertung von Zuschlagskriterien vergaberechtskonform. Die Herausforderung des § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB ist, den Bietern die Informationen zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen, um zu wissen, wann sie bei einem Zuschlagskriterium die Maximalpunktzahl erzielen können. Dies kann z.B. erreicht werden, indem eine Notenskala mit Erfüllungsgraden definiert wird, anhand deren die Bieter erkennen können, welche Anforderungen besonders wichtig sind. Idealerweise finden sich die Angaben zum Bewertungshorizont unmittelbar in der Bewertungsmatrix, um eine übersichtliche und gut verständliche Darstellung zu gewährleisten. Dies immer mit dem Hintergedanken der Bieterfreundlichkeit. Denn klare und übersichtliche Vergabeunterlagen sind ein entscheidender Garant für die Beteiligung von geeigneten Bietern.

Konkret können folgende Handlungsempfehlung gegeben werden:

  • Zuschlagskriterien: Bewertungskriterien unmissverständlich von Mindestanforderungen abgrenzen
  • vorzugsweise eindeutig definierbare Anforderungen, deren Erfüllung auf Basis eines schriftlichen Angebotes festgestellt werden können, aufstellen
  • Vergabeunterlagen transparent gestalten: Darstellung, ob die Angebote im Vergleich zueinander („relative Bewertung“) oder am Maßstab einer objektiven fiktiven Idealerfüllung („absolute Bewertung“) bewertet werden
  • Bewertungshorizont: Notenskala mit Erfüllungsgraden definieren; insb. bei Anforderungen, die nicht messbar sind
  • Bewertungskriterien mit Prüfungskommission: exakte Festlegung, welche Anforderung die Prüfungskommission berücksichtigt + Dokumentation gem. § 8 VgV

Unsere zentrale Handlungsempfehlung lautet: Formulieren Sie lieber weniger Zuschlagskriterien, aber dafür mit spezifischem Bewertungshorizont, um den Bietern präzise zu verdeutlichen, welche Anforderungen in der Bewertung den Ausschlag für welchen Punktewert geben.

Dieser Beitrag wurde von Anna Zoller (Vergabejuristin) erstellt.