Immer wieder kommt es in Vergabeverfahren vor, dass Bieter versehentlich oder unbeabsichtigt Inhalte von eigentlich gesperrten Leistungsverzeichnissen, Bewertungsmatrizen (BWM), oder Preisblättern (PB) verändern. In diesem Beitrag gehen wir auf die Anwendung des § 57 VgV, die herrschende Rechtsprechung sowie auf den aktuellen technischen Stand ein.
Vergaberechtlich stellt sich die Frage, ob bereits allein durch das Aufheben des Blattschutzes eine Manipulation der Vergabeunterlagen vorliegt sowie welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Besonders häufig kommt es aktuell zur Aufhebung des Blattschutzes, wenn zur Bearbeitung Open-Source- oder cloudbasierte Softwarelösungen verwendet werden. Diese umgehen, teils automatisch, den in Microsoft Excel gesetzten Blattschutz.
Beispiel Google:
Google Sheets, der Tabellendienst von Google Workspace, verarbeitet den Blattschutz von Excel-Dateien beim Import in der Regel nicht wie in Microsoft Excel. Beim Hochladen einer passwortgeschützten Excel-Datei in Google Sheets wird der Blattschutz automatisch aufgehoben.
Das Sicherheitskonzept von Google Sheets basiert auf der Berechtigungsverwaltung durch Google-Konten und nicht auf einem passwortbasierten Blattschutz wie in Excel. Wenn eine geschützte Excel-Datei in Google Sheets bearbeitet wurde und dann wieder als .xlsx gespeichert wird, muss der Blattschutz in Excel erneut aktiviert werden.
Grundsätzlich führt nicht jeder Verstoß oder jede technische Abweichung automatisch zum Ausschluss. Die Integrität der Vergabeunterlagen ist jedoch essenziell und muss beachtet werden. Bewertungsmatrix und Preisblatt sind zentrale Bestandteile der Angebotswertung. Änderungen, ob absichtlich oder unbeabsichtigt, können die Vergleichbarkeit der Angebote erheblich beeinträchtigen und die Chancengleichheit verletzen.
Die Rechtsprechung hat sich bereits mit einer Vielzahl von Manipulationsfällen auseinandergesetzt.
- Ein anschauliches Beispiel findet sich bei der VK Rheinland-Pfalz (Beschl. v. 28. März 2018, VK 1 – 38/17): hiernach kann ein Angebotsausschluss sogar dann gerechtfertigt sein, wenn der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen einen Gerichtsstand vorgegeben hat und der Bieter in seinem Angebotsschreiben einen anderen Gerichtsstand benennt.
- Nach der Rechtsprechung des BGH vom 18. Juni 2019 (X ZR 86/17) sind die Möglichkeiten des Angebotsausschlusses in der Fallgruppe des unabsichtlichen Beifügens eingeschränkt. Angebote, welche unter einem formalen Mangel leiden, sind hiernach – insofern dies möglich ist- „im Sinne des Wettbewerbs“ auszulegen und ggf. durch Aufklärung zu retten. Der Gegenstand des Verfahrens war ein Vergabeverfahren, bei dem der Auftraggeber die „Zusätzlichen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ZVBBau)“ zum Bestandteil der Vergabeunterlagen gemacht hat. Hiernach sollte die Schlusszahlung innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Abnahme und Stellung einer prüfbaren Schlussrechnung erfolgen. Ein Bieter versah den Endpreis in seinem Angebot aber mit dem Zusatz „… zahlbar bei Rechnungserhalt ohne Abzug“. Der BGH hat in diesem Fall den erfolgten Ausschluss dieses Bieters, ohne vorherige Aufklärung beim Bieter, ob dieser von den Änderungen Abstand nimmt, für unzulässig erklärt.
- Laut der Vergabekammer des Bundes (VK Bund, Beschl. v. 04.01.2023 – VK1-105/22) liegt eine Manipulation vor, wenn der Bieter handschriftliche Ergänzungen zu weiteren Unterlagen im Angebotsschreiben mit aufnimmt.
Ob das Aufheben vom Blattschutz bereits reicht, um eine solche Manipulation darzustellen, musste jedoch bisher noch nicht von der Rechtsprechung entschieden werden. Im Schrifttum unstreitig kann aber bereits die formale Abweichung für einen Ausschluss eines Angebotes genügen, auf die Wettbewerbsrelevanz, Wesentlichkeit oder Geringfügigkeit der Abweichung kommt es nicht an. Das OLG Schleswig-Holsteinische (Beschluss vom 28. März 2024 – 54 Verg 2/23) hat entschieden, dass ein Ausschluss eines Angebotes unter rein formalen Gesichtspunkten grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Vielmehr sind etwaige Unklarheiten im Wege der Aufklärung zu beseitigen.
Unser Fazit: Sorgfalt vor Technik
Vergabestellen sollten wiederum bei der Prüfung von Angeboten mit Maß und Verstand vorgehen. Die intuitive Nutzung moderner Tools darf nicht zur Stolperfalle für sorgfältig arbeitende Bieter werden, aber auch nicht als Einladung zur Manipulation dienen.
Empfehlung für Auftraggeber:
- Setzen Sie auf klare Hinweise in den Vergabeunterlagen (z. B. „Bitte heben Sie den Blattschutz der Vergabeunterlagen nicht auf und nehmen Sie auch keine sonstigen Änderungen vor!“).
- Prüfen Sie eingereichte Dateien auf Veränderungen außerhalb der Eingabefelder.
- Dokumentieren Sie Abweichungen und bewerten Sie diese anhand der Auswirkungen auf die Wertbarkeit und Vergleichbarkeit.
Folgendes Vorgehen kann hilfreich zur Beurteilung sein:
1. Sichtung und Vergleich der eingereichten Unterlagen
Abgleich der eingereichten Angebotsunterlagen mit den originalen Vergabeunterlagen.
2. Prüfung der Änderung
Prüfen, ob formale oder inhaltliche Änderungen vorgenommen wurden (z. B. geänderte Vertragsbedingungen, Leistungsbeschreibungen, Preisblätter).
3. Unterscheiden, ob es sich um:
- wesentliche (inhaltliche) Änderungen handelt (z. B. Leistungsumfang, Zahlungsbedingungen),
- oder nur um unwesentliche/formale Änderungen (z. B. Tippfehler, unabsichtliche Formatierung).
4. Bewertung der Auswirkungen
- Beeinträchtigt die Änderung die Vergleichbarkeit der Angebote?
- Verletzt sie das Gleichbehandlungsgebot oder Transparenzgebot?
- Wird durch die Änderung ein veränderter Stand im Wettbewerb erzielt?
5. Entscheidung über den Angebotsabschluss
Bei wesentlicher Änderung ist ein Ausschluss gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV zwingend notwendig und es gibt keinen Ermessenspielraum.
6. Dokumentation der Entscheidung
Die Entscheidung und ihre Begründung müssen im Vergabevermerk vollständig dokumentiert werden (§ 8 VgV). Dies dient der Nachvollziehbarkeit und Verteidigung bei Nachprüfungsverfahren.
Falls Sie Fragen oder Anregungen haben oder weitere Informationen benötigen, können Sie sich gerne jederzeit direkt mit uns in Verbindung setzen.