Bieterinformationen – Vertraulichkeit vs. Transparenz

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 17.11.2022 (Az.: C-54/21) bekräftigt, dass nationale Regelungen zum Schutz von Bieterinformationen zulässig sind, aber die konkrete Einstufung einer Information als „vertraulich“ individuell abzuwägen ist. Bereits in unserem Blogbeitrag vom 10.01.2022 (siehe https://valora-consulting.com/transparenzgebot-vs-schutz-von-betriebs-und-geschaeftsgeheimnissen/) haben wir uns mit der Abwägung von Vertraulichkeit (Geheimwettbewerb gem. §3 UVgO, § 5 VgV) und Transparenz (gem. § 97 Abs. 1 GWB) beschäftigt. Die erneute Entscheidung – diesmal auf europäischer Ebene – verdeutlicht die Brisanz der Thematik in Vergabeverfahren, weshalb dieser Blogbeitrag nochmals den Fokus auf den Schutz von Bieterinformationen lenkt.

Sachverhalt

Ausgangspunkt war ein EU-weites Vergabeverfahren eines staatlichen Wasserwirtschaftsunternehmens zur Erteilung eines öffentlichen Auftrags für die Entwicklung von Bewirtschaftungsprojekten mit umweltrechtlichem Bezug. Ein nicht berücksichtigter Bieter wandte sich an das zuständige polnische Gericht und beabsichtigte u.a. die Offenlegung verfahrensrelevanter Informationen zu den konkurrierenden Angeboten (Referenzverzeichnis, Angaben zum Projektteam, Informationen über Subunternehmer oder sonstige Dritte, Arbeitskonzept für die Projektentwicklung und die Beschreibung der Art und Weise der Auftragsausführung). Das Gericht befragte daraufhin den EuGH zu den Grenzen der Vertraulichkeit von Informationen, die die Bieter zusammen mit ihren Angeboten einreichen. Der EuGH präzisierte in der Folge den Umfang und die Anwendbarkeit des für öffentliche Auftraggeber geltenden Verbots, Informationen offenzulegen, die die Bieter im Rahmen von Vergabeverfahren übermitteln.

EuGH-Entscheidung

Im Detail führt der EuGH zunächst aus, dass die EU-Vergaberichtlinie (Richtlinie 2014/24/EU) es einem Mitgliedstaat grundsätzlich gestattet, eine Regelung einzuführen, mit welcher der Umfang der Pflicht zur vertraulichen Behandlung von Informationen durch den Begriff des „Geschäftsgeheimnisses“ abgegrenzt wird.

Als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werden nach deutscher Rechtsprechung alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat (vgl. BVerwG, Urt. V. 28.05.2009, 7 C 18.08). Dies sind insbesondere „Know-How“ und technologische Informationen, wie beispielsweise Rezepturen, Herstellungsverfahren, Prototypen, Algorithmen, Konstruktionspläne sowie Geschäftsinformationen, wie beispielsweise Kunden- und Lieferantendaten, Businesspläne, Marktforschungs- und Werbestrategien oder Kosteninformationen. Kurz gesagt, dürfen sie kein allgemein bekanntes Standardwissen darstellen und nicht öffentlich verbreitet worden sein (z.B. durch Pressemitteilungen).

Diese Regelung bzw. der Begriff „Geschäftsgeheimnis“ muss nach Ansicht des EuGH weit gefasst werden. Demnach sind nicht nur „Geschäftsgeheimnisse“ geschützt, sondern auch weiterführende oder ergänzende verfahrensrelevante Informationen können der Geheimhaltung unterliegen.

ABER: Nationaler Gesetzgeber kann mehr Transparenz vorsehen

Die Abwägung zwischen Vertraulichkeit und Transparenz im Vergabeverfahren obliegt dem Mitgliedstaat. Damit legt der EuGH fest, dass die Weitergabe von übermittelten und als vertraulich eingestuften Informationen durch nationales Recht eingeschränkt werden kann. In der Konsequenz können auf nationaler Ebene gesetzliche Regelungen erlassen werden, die die Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Informationen bestimmen. Entscheidend ist der Wortlaut! Soweit eine nationale Regelung ausdrücklich die Veröffentlichung aller (Bieter-)Informationen mit Ausnahme von „Geschäftsgeheimnissen“ vorschreibt, ist dies nach Ansicht des EuGH unzulässig! Der öffentliche Auftraggeber wird in diesem Fall verpflichtet, bestimmte – als vertraulich eingestufte, aber nicht unter den Begriff der „Geschäftsgeheimnisse“ fallende Informationen –offenzulegen.

Demgegenüber stehen das Recht des Bieters auf Transparenz im Vergabeverfahren sowie das allgemeine Recht auf wirksamen Rechtsschutz. Damit ein nicht berücksichtigter Bieter Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann, muss ihm Zugang zum wesentlichen Inhalt von verfahrensrelevanten Informationen anderer Bieter gewährt werden. Dies gilt laut EuGH aber nicht, wenn es sich um Informationen handelt, (i) die einen wirtschaftlichen Wert haben (der sich nicht auf den öffentlichen Auftrag beschränkt), (ii) den lauteren Wettbewerb beeinträchtigen könnten, (iii) den Gesetzesvollzug behindern würden oder (iiii) sonst einem öffentlichen Interesse zuwiderliefen.

Praxisbeispiele

Nicht selten sind Konzepte Bestandteil eines Bieterangebotes. Hier spielt der Urheberschutz eine entscheidende Rolle. Der öffentlichen Auftraggeber hat zu prüfen, ob das Konzept sowie die Beschreibung der Art und Weise der Auftragsausführung durch das Urheberrecht geschützt sein könnten. Schützenswert sind jene Inhalte, die eine geistige Schöpfung ihres Urhebers zum Ausdruck bringen, in der dessen Persönlichkeit zum Ausdruck kommt. Wenn also der Inhalt des Konzepts eine gewisse „Einzigartigkeit“ aufzeigt, die die besonderen Fähigkeiten des Bieters widerspiegeln, dann überwiegt der Schutz der Vertraulichkeit. Denn würde sein Konzept den Wettbewerbern offengelegt, droht der Wettbewerb bei zukünftigen Vergabeverfahren verfälscht zu werden. Der Bieter würde erhebliche Nachteile erleiden. Dennoch gilt auch bei Konzepten, dass der wesentliche Inhalt, ohne urheberrechtlich geschützte Details, zugänglich gemacht werden muss.

Im Vergabeverfahren eingereichte Angaben/ Nachweise zur Berufserfahrung sowie Referenzen könnten nicht pauschal als vertraulich eingestuft werden. Berufliche Erfahrung ist im Allgemeinen nicht geheim, sodass solche Informationen den Wettbewerbern grundsätzlich nicht vorenthalten werden dürfen. Soweit es sich um personenbezogene Daten handelt, ist aber der Datenschutz zu beachten. Bei nicht personenbezogenen Daten fällt eine Abwägung zugunsten des Grundsatzes der Transparenz und des Rechts auf Rechtsschutz aus. Somit gilt, dass der wesentliche Inhalt für alle Bieter zugänglich zu machen ist (z. B. berufliche Qualifikationen oder Fähigkeiten der zur Ausführung des Auftrags herangezogenen Personen, Umfang und die Struktur des gebildeten Personalbestands, Leistungsanteil der Unterauftragnehmer an der Auftragsausführung).

Rechtsfolge fehlerhafter Einstufung als „vertraulich“

Festzuhalten bleibt, dass eine Einstufung einer Bieterinformation als „vertraulich“ in der Regel in jedem Vergabeverfahren individuell durch den öffentlichen Auftraggeber geprüft werden sollte. Sollte es dennoch zu einer Fehlentscheidung kommen und eine Information fälschlicherweise als „vertraulich“ eingestuft worden sein, dann führt dies nicht zwingend zum Erlass einer neuen Vergabeentscheidung. Wenn gerichtlich festgestellt wurde, dass aufgrund der fehlenden Offenlegung dieser Informationen gegen das Recht auf wirksamen Rechtsschutz verstoßen wurde, können auch während des gerichtlichen Verfahrens andere Maßnahmen ergriffen werden, damit das Recht auf einen wirksamen Rechtsschutz wieder gewahrt wird.

Dieser Beitrag wurde von Anna Zoller (Vergabejuristin) unterstützt durch Anna Lazarova (Vergabejuristin) erstellt.