Nachhaltige Verkehrswende und Fallen bei der Auftragsvergabe (Teil 1)

Kommt man mit Verantwortlichen für Vergabeentscheidungen ins Gespräch, zeigt sich, dass die Vorgaben des Vergaberechts manchmal „auf die leichte Schulter“ genommen werden. Am Anfang eines jeden Verfahrens steht für die Abschätzung des richtigen Rechtsrahmens eine transparente, nachvollziehbare Schätzung des Auftragswerts. Aber dazu gehört auch eine saubere Einordnung des noch in der Zukunft liegenden Vertrages: Handelt es sich vielleicht um einen Bauauftrag (Schwellenwert seit dem 01.01.2022: 5.382 TEUR) oder doch um einen Liefer- oder Dienstleistungsvertrag nach VgV (Schwellenwert seit dem 01.01.2022: 215 TEUR)? Wie schätzen Sie zum Beispiel die Vergabe von „Baumpflege und -schnitt“ ein? Manchmal ist es wirklich nicht leicht!

Neue Schwellenwerte

Bei einer – vielleicht sogar gutwillig – falschen Einschätzung des Wertes oder der Vertragsart kann dann schnell § 135 Abs. 1 GWB ins Spiel kommen, wonach der Vertrag von Anfang an unwirksam ist. Keine Petitesse, sondern maximaler Schaden…

Anlass für diese Mahnung ist der aktuelle Beschluss des OLG Celle vom 09.11.2021 (13 Verg 09/21): Auftraggeber war ein Tarif- und Verkehrsverbund für den öffentlichen Personennahverkehr. Dieser wollte ein Fahrradverleihsystem so in das eigene Konzept einbinden, dass Kunden mit Semesterticket oder Fahrkarten-Abo 30 Minuten lang kostenlos Fahrräder leihen durften. Gegenstand waren dabei ca. 1.000 Fahrräder, die vor allem an Haltestellen angeboten werden sollten. Darüber hinaus sollte der Fahrradverleiher dem Auftraggeber Werbeflächen zur Verfügung stellen, auf denen das Markenzeichen des Auftraggebers benutzt werden könnte.

De-facto-Vergabe

Der Auftrag wurde (Wert: ca. 1,4 Mio. EUR) an den Platzhirschen vergeben, also dem Unternehmen, das bereits Fahrräder im Tarifgebiet verlieh. Ein ordentliches Vergabeverfahren fand dabei nicht statt (sog. „De-facto-Vergabe“: eine lateinisch-juristische Umschreibung für eine Vergabe öffentlicher Aufträge ohne förmliches Vergabeverfahren). Wieso fand kein ordentliches Vergabeverfahren statt? Weil man dachte, dass es sich um eine Konzessionsvergabe handeln würde. Bei Konzessionsvergaben gilt seit dem 01.01.2022 der hohe Schwellenwert von 5.382 TEUR!

Begründet wurde dies zum einen damit, dass Gegenstand des Vertrags gar nicht die Bereitstellung eines Fahrradverleihsystems sei, sondern vielmehr „das Sponsoring“ des Vertragspartners. Ein solcher Vertrag sei aber nur mit dem Vertragspartner sinnvoll abzuschließen. Es handelte sich nach Auffassung des Auftraggebers vielmehr um einen Konzessionsvertrag. Und um den Vertrag abzusichern, wurde sogar eine „freiwillige Ex-ante-Transparenzbekanntmachung“ im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Diese sollte dazu führen, dass der geschlossene Vertrag nicht unwirksam würde, selbst wenn man davon ausginge, dass es sich hier um einen Dienstleistungsvertrag handele. Die – vorsichtshalber – eingeschaltete Anwaltskanzlei kam nach Prüfung zu dem Ergebnis, dass das ausreiche, um ein langwieriges Vergabeverfahren zu vermeiden.

Dagegen ging ein Konkurrenzunternehmen vor, welches den Auftrag auch gerne bekommen hätte. Sowohl die Vergabekammer Niedersachsen als auch das OLG Celle bestätigten die rechtlichen Bedenken des Konkurrenzunternehmens. Die De-facto-Vergabe sei hier unwirksam, da § 135 Abs. 1 GWB einschlägig sei.

Zum einen handele es sich eben nicht um einen Konzessionsvertrag, denn es gehe nicht um die Übertragung eines Rechts (Verwendung der Markenzeichen), sondern vielmehr um eine entgeltliche Dienstleistung, d. h. die Zurverfügungstellung von Fahrrädern zur Miete an die Kunden des Auftraggebers.

Zum anderen sei auch die Veröffentlichung im Amtsblatt der EU nicht geeignet, den § 135 Abs. 1 GWB zu entkräften. Denn der Auftraggeber müsse beweisen, dass ein Wettbewerb fehle. Diese Klausel sei sehr eng auszulegen, reine Zweckmäßigkeitsüberlegungen oder rein wirtschaftliche Vorteile würden hier nicht reichen. Gegen eine Zulässigkeit der Ausnahme nach § 135 Abs. 3 GWB spreche schon, dass es an jeglicher Dokumentation fehle. Auch der Umstand, dass die hinzugezogene Rechtsanwaltskanzlei die Erwartung geäußert habe, ein auswärtiger Anbieter würde sich nicht bewerben wollen, reiche ebenso nicht aus wie die rechtliche Prüfung der Kanzlei.

Also: Alles wieder auf Anfang…

Tipp: Auch die Hinzuziehung einer Anwaltskanzlei ist keine Garantie für ein rechtssicheres Vorgehen. Berücksichtigen Sie stets, dass die Rechtsauffassung eines Juristen keine Allgemeingültigkeit hat („Zwei Juristen, drei Meinungen“) und rechtliche Risiken nicht ignoriert werden dürfen. Vor allem in zweifelhaften Fällen müssen die Folgen einer potenziellen Fehleinschätzung abgeschätzt werden. Ein sicheres Zeichen für eine solche Fehleinschätzung ist es im Übrigen, wenn durch „Flickschusterei“ zusätzliche Sicherungen eingebaut werden oder der Wettbewerb komplett ausgeschaltet werden soll. Eine entsprechende Ex-ante-Mitteilung im EU-Amtsblatt kann allenfalls ein Feigenblatt, aber niemals Schutzschild sein.

Dieser Beitrag wurde von Dr. Richard Bley (Senior Consultant) zusammen mit Jutta Pertenais (Senior Consultant) erstellt.