Eine aus meiner Sicht durchaus diskussionswürdige Entscheidung hat die VK Bund mit dem Beschluss vom 14.08.2017, Az. VK 1-75/17, getroffen. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Ein öffentlicher AG schreibt Metallbauarbeiten aus. Alle eingegangenen Angebote liegen unerwartet sehr deutlich über der Kostenschätzung und der hieraus geplanten Haushaltsmittel. Gegen die damit begründete Verfahrensaufhebung richtete sich die Rüge des Antragstellers und letztlich der Nachprüfungsantrag. Der Antrag wurde u. a. damit begründet, dass der AG die Kostenschätzung falsch vorgenommen habe. Der Antrag wurde jedoch als unbegründet abgewiesen. Die VK Bund führt aus: „Unabhängig davon, ob ein Aufhebungsgrund i. S. d. § 17 EU VOB/A vorliegt, kann ein öffentlicher Auftraggeber von einem Vergabeverfahren Abstand nehmen. Er unterliegt keinem Kontrahierungszwang; er braucht mithin einen ausgeschriebenen Auftrag nicht zu erteilen und eine Vergabe nicht mit einem Zuschlag abzuschließen (std. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 20. März 2014, X ZB 18/13; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Oktober 2013, VII-Verg 16/13, jeweils m. w. N.).
Da ein Bieter allerdings gemäß § 97 Abs. 6 GWB einen Anspruch darauf hat, dass der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält, kann er – im Wege eines Antrags auf Feststellung, dass er durch die Aufhebung in seinen Rechten verletzt wurde – Schadensersatz verlangen, wenn der Auftraggeber das Vergabeverfahren rechtswidrig aufgehoben hat (vgl. nur BGH, aaO). Ein sachlich gerechtfertigter Grund für die Aufhebung liegt hier vor. Dieser besteht vorliegend darin, dass die bisher eingegangenen Angebote die der Antragsgegnerin zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel erheblich übersteigen. […] Die Korrektur solcher Fehler stellt einen Grund dar, aus dem die Aufhebung eines Vergabeverfahrens sachlich gerechtfertigt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2014, X ZB 18/13; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 12. Januar 2015, VII-Verg 29/14; vom 16. November 2010, VII-Verg 50/10; und vom 10. November 2010, VII-Verg 28/10). Dass die Antragsgegnerin den Fehler, der zur Aufhebung des Vergabeverfahrens führte, möglicherweise selbst zu vertreten hat, weil ihre Kostenschätzung nicht ordnungsgemäß erfolgte und sie deshalb zu wenig Haushaltsmittel eingeworben hat, steht einer wirksamen Aufhebung nicht entgegen. […] Auch in diesem Fall ist das Interesse der Antragstellerin hinreichend dadurch geschützt, dass sie Schadensersatz dafür verlangen kann, dass sie vergeblich ein Angebot auf eine fehlerhafte Ausschreibung hin erstellt hat (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 8. September 1998, X ZR 48/97; BGH, Urteil vom 5. November 2002, X ZR 232/00; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Januar 2015, VII-Verg 29/14 m. w. N.; OLG München, Urteil vom 12. Dezember 2014, 1 U 498/13).“
Fazit: Auch wenn die Entscheidung im schlimmsten Fall das Versagen der öffentlichen Auftraggeber bei der ordnungsgemäßen Auftragsschätzung „schützt“ und die Bieter im Vertrauen auf eine fehlerfreie Verfahrensvorbereitung und Durchführung m. E. benachteiligt, stellt sie für die öffentlichen Auftraggeber keinen „Persilschein“ für fehlerhaftes Handeln dar. Die Bieter können im Nachprüfungsverfahren trotzdem die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung (wegen fehlerhafter Schätzung) beantragen, so dass sich hieraus Schadenersatzansprüche der Bieter ableiten lassen.
Robby Semmling, der Autor des Blogs, ist Rechtsanwalt und seit mehreren Jahren spezialisiert auf Themen rund um Vergabeverfahren. An dieser Stelle bloggt er regelmäßig zu Problemstellungen aus seinem Arbeitsalltag.